Erlebnisbericht von Herbert Horst Messer
aus Woduhnkeim / Ostpreußen,
jetzt wohnhaft in Bad Feilnbach Fichtenweg 17

Reichsarbeitsdienst

Nachdem ich mich als Kriegsfreiwilliger zur Panzertruppe gemeldet hatte, wurde ich am 20.11.1943 zum Reichsarbeitsdienst nach Insterburg in Ostpreußen einberufen. Unser Arbeitsdienstlager war auf dem Militärflughafen.
Dort arbeiteten wir an der Start- und Landebahn. Wir hatten Reichsarbeitsdienstuniform an, einen Spaten, mit dem gearbeitet und auch exerziert wurde, als Lohn gab es 25 Pfennig am Tag in Friedenszeiten und in Kriegszeiten 1 Mark.

Der Drill war genau so streng wie später bei der Wehrmacht. Ich hatte ein bißchen Glück, denn der Feldmeister brauchte einen "Burschen", besser als Putzer bekannt, der sein Zimmer und seine Klamotten in Ordnung halten mußte. Wenn exerzieren angesagt und es recht kalt war, schickte er mich in seine Bude (Zimmer).

Einmal hieß es, daß am nächsten Tag niemand die Baracke verlassen darf und die Fensterläden sollten geschlossen bleiben, doch wir waren neugierig und sahen durch einen Spalt, daß eine Autokolonne auf der Straße zum Flughafenhauptgebäude fuhr.
Etwas später hörten wir ein pfeifendes Geräusch in der Luft. Wir sahen durch den Spalt der Fensterläden ein Flugzeug beim Start, daß das Fahrwerk abwarf sobald es in der Luft war; es hatte keinen Propeller, sondern ein Düsentriebwerk.

Kurze Zeit später erfolgte ein zweiter Start, es war ein Flugzeug mit zwei Triebwerken. Die Flugzeuge hatten eine solche hohe Geschwindigkeit, daß wir sie nur kurze Zeit zu Gesicht bekamen. Nach einer gewissen Zeit sahen wir die Autokolonne wieder abfahren. Erst später erfuhren wir, daß Hitler und Reichsmarschall Göring sich mit seinem Stab die neuen Düsenmaschinen vorführen ließen.

Eines Abends mußten alle Arbeitsdienstler raus auf die Landebahn, ein Flugzeug vom Typ Gigant war von der Landebahn abgekommen und im Dreck stecken geblieben.

Mit langen Seilen und unserer Muskelkraft zogen wir das Großflugzeug wieder auf die Landebahn. An der Landebahnkante platzten zwei von den insgesamt zehn Reifen, wir waren dermaßen erschrocken und meinten, das Flugzeug würde explodieren und liefen weg.

Dann schafften wir es, es doch noch auf die Landebahn zu ziehen. Langeweile kannten wir nicht, die ganzen drei Monate wurden wir auf Trab gehalten. Am Abend eines jeden Tages war jeder so müde und froh ins Bett gehen zu dürfen. So endete diese Zeit am 20.02.1944.

In der deutschen Wehrmacht

Am 24.02.1944 wurde ich als 17jähriger Freiwilliger zum Panzer Ersatzregiment 10 nach Zinten / Ostpreußen einberufen.
Nach der Grundausbildung kam ich zu den Panzergrenadieren nach Insterburg / Ostpreußen. Im April wurden wir nach Baranowice (Weißrußland) in Marsch gesetzt, um dort die Ausbildung fortzusetzen.

Was ich damals kurios fand: wir hatten nur Ausgehuniformen an und keine Felduniformen. Nach ein paar Wochen hieß es, wir müssen sofort zum nächsten Verladebahnhof, der Russe wäre in einem nicht weit entfernten Frontbereich durchgebrochen.
Der Bahnhof war aber ca. 50 Kilometer entfernt und der Fußmarsch sollte am nächsten Tag erfolgen. Die Nacht war etwas Schnee gefallen und der Marsch eine Strapaze.
Als wir am späten Abend am Bahnhof ankamen, setzte ich mich auf einen Balken und konnte später vor lauter Muskelkater nicht sofort aufstehen. Der Zug stand bereit und wartete bis alle verladen waren. Also schleppte ich mich rein und war froh auf ein bisschen Stroh zum Liegen zu kommen.

In Insterburg ging nun die Ausbildung weiter.
Am 20. Juli, dem Tag des Attentats auf Hitler, hatte unser Zug am Eingangstor der Kaserne Wache. Ab sofort mussten alle - auch die Offiziere - sich ausweisen und wurden genau kontrolliert.
Uns war nicht bekannt, dass das Führerhauptquartier Wolfsschanze so dicht bei Insterburg lag.
Seit diesem Tage wurde auch in der Wehrmacht der sog. Deutsche Gruss, das Heben des rechten Armes, eingeführt.

Da ich den Motorradführerschein schon hatte, durfte ich den Kompanierführer ins Gelände fahren und zwar mit einer 500er Zündapp mit Beiwagen. Durch diesen persönlichen Kontakt schickte er mich am 25. Juli zur Unteroffiziersschule nach Sternberg im Sudetenland.

Anfang September 1944 wurde ein Führerbefehl vorgelesen wonach sich "Ostpreußen" zur Landesverteidigung in die Heimat melden konnten. Wir waren 6 Ostpreußen und alle gingen freiwillig. Wir kamen nach Stablack / Ostpr., wo die sogenannten Volksgrenadier - Divisionen aufgestellt wurden.
Eines Tages sah ich einen Offizier der Panzertruppen in schwarzer Uniform in der Kaserne, es war der Kommandeur des Panzer Ersatzregiment 10 von Zinten.
Ich schilderte unser Dasein mit der Bitte, uns wieder nach Zinten mitzunehmen, was er dann auch umgehend veranlaßte.

Wir alle kamen nach Zinten und wurden als Funker im Panzer ausgebildet. Als die Ausbildung abgeschlossen war, wurden wir am 02.10.44, ohne Einsatzurlaub, in Richtung Ostfront verladen. Zuvor hatte ich zu Hause angerufen, um meine Anhörigen davon zu unterrichten. Kurz entschlossen besuchte mich meine Schwester Elfriede einen Tag vor der Verladung in der Kaserne.
Die Fahrt im einem Güterzug ging über Königsberg, Tilsit nach Schaulen / Litauen, wo wir zur 2. Abteilung des Panzerregiment 29 und 12. Panzerdivision kamen.

Erster Kriegseinsatz

Die 7. Kompanie hatte zu dieser Zeit Sturmgeschütze, das heißt ein Panzer 4, Fahrgestell ohne drehbaren Turm, dafür eine 7.5 cm Kanone lang mit einem Schwenkbereich von ca. 35 Grad.
Die Besatzung bestand aus 4 Mann. Ich wurde Funker und Ladekanonier eines Sturmgeschützes dessen Kommandant Unteroffizier Schneider hieß.

Am 06.10.44 griff der Russe an, durchbrach südlich unsere Front und stieß bis nach Memel durch. Damit war die nördliche Heeresgruppe abgeschnitten und eingeschlossen.
Am 28.10.44 begann die erste Kurlandschlacht. Bei einem Angriff gegen russische Infanterie erhielt ich als MG-Schütze eine Verwundung am Hinterkopf.
Nachdem man mir einen Verband angelegt hatte, wollte der Kommandant mich nach hinten bringen. Um nicht über eine Anhöhe zu fahren, die vom Feind eingesehen wurde, entschloß sich der Kommandant eine Senke zu durchfahren. Nach kurzer Fahrt drehten die Ketten durch und wir saßen fest.

Es wurde dunkel, die Nacht brach an, die Frontlinie kam unserer Lage sehr nahe.
Wir konnten die Kanone nicht einsetzen, weil wir keinen drehbaren Turm hatten. Eine angeforderte Berge - Zugmaschine kam, schaffte es aber nicht, uns frei zu schleppen. So mußten wir auf eine zweite Zugmaschine warten, die erst um Mitternacht eintraf.

Um nicht im Sturmgeschütz von Artillerie oder Granatwerfer getroffen zu werden, suchten wir Deckung außerhalb in Granattrichtern. Bei einem Wechsel von einem zum anderen Granattrichter bekam unser Fahrer einen Granatsplitter ins linke Schulterblatt, das wir zum Glück verbinden konnten.

Die zwei Zumaschinen zogen uns aus der unglücklichen Lage raus und wir konnten dann mit eigener Kraft zurück zum Hauptverbandsplatz fahren. Dort angekommen mußten alle Verwundeten, die noch Laufen konnten durch eine Sperre gehen, an der ein Stabsarzt stand und je nach Schwere der Verwundung sortierte.
Die Leichtverletzten links raus, die schwerer Verletzten rechts raus. Der Fahrer vor mir mußte nach der Sperre Rechts raus und ich sollte Links raus, doch ich ging auch Rechts raus.

Alle die Rechts raus gegangen waren, kamen auf einen bereitstehenden Omnibus, der uns zum Hafen Libau auf ein Frachtschiff brachte.
Wäre ich wie befohlen Links raus gegangen, wäre ich im Feldlazarett geblieben, aber nun ging es am Abend in einem Geleitzug über die Ostsee in Richtung Heimat. Das ganze Schiff war voll mit Verwundete. Da ich ja nur leicht verwundet war, hielt ich mich immer in der Nähe des Oberdecks auf, um bei einem U-Bootangriff einen Überblick zu haben, denn ich hatte keine Lust mit diesem stählernen Sarg unterzugehen, lieber wollte ich ein Rettungsboot erreichen oder ins eiskalte Wasser springen, da jeder eine Schwimmweste an hatte.

Als es dann noch U-Bootalarm gab, war die Stimmung auf dem Nullpunkt, doch es passierte nichts und so kamen wir im Laufe des Tages in Danzig an.
Am Kai stand eine Lazarettzug und dieser fuhr mit uns allen in Richtung Berlin. Unterwegs wurden an den größeren Stationen Verwundete ausgeladen, meine Station war Schneidemühl in Pommern.
Dort im Lazarett verbrachte ich genau 15 Tage, bekam 14 Tage Genesungs- und 14 Tage Einsatzurlaub und so war ich vom 15.11. bis 15.12.1944 zu Hause.

Kurlandschlachten

Nach dem Urlaub mußte ich mich in Stettin beim Ersatztruppenteil in der Kaserne melden. Dort verbrachte ich eine ruhige Zeit bis zum 31.12.44. Wir hatten jeden Tag Ausgang. Dabei lernte ich ein Mädchen Namens Christel Münchow kennen, mit der ich auch einmal den Zapfenstreich verpaßte. Als Strafe gab es 3 Tage Wache schieben.
Am 31. in der Nacht sollten wir mit der Straßenbahn zum Bahnhof gefahren werden einschließlich Gepäck, doch es war starker Schneefall und die Straßenbahn blieb nach kurzer Fahrt stecken. Wir versuchten noch die Straßenbahn zu schieben, um wenigstens das Gepäck zum Bahnhof zu bringen, doch alles vergeblich, wir mußten mit unserm Gepäck zum Bahnhof marschieren.

Am Bahnhof stand ein Güterzug, in jedem Waggon Schlafpritschen und ein Kanonenofen, denn es war bitter kalt. Bevor der Zug abfuhr gab es noch Marketenderware. Sie beinhalte unter anderem Alkohol und so erlebte ich auf der Fahrt von Stettin nach Danzig meinen ersten "Rausch".
Ich landete im Kohlenkasten und mußte ständig "Kotzen" und merkte nicht, daß sich ein Loch in meinen neuen Mantel eingebrannt hatte, was zur Folge hatte, daß ich in Danzig keinen Ausgang bekam.

So wurden wir auf ein Schiff verladen und ab ging es wieder nach Kurland, wo wir am 03.01.45 ( meinem 18. Geburtstag) im Hafen von Libau ankamen. Ich kam sofort wieder zu meiner alten Einheit, doch zu meiner Überraschung war ein Viertel meiner Kameraden in meiner Abwesenheit gefallen, da in dieser Zeit die zweite und dritte verlustreiche Kurlandschlacht stattgefunden hatten.

Im Stillen dachte ich mir, vielleicht habe ich mit meinem Tun ein bißchen Schicksal gespielt. Es folgte die 4. und 5. Kurlandschlacht und unsere 12. Panzerdivision war die Feuerwehr in Reserve. Überall wo der Russe durch gebrochen war, kamen wir zum Einsatz.
Es hieß die 4. Panzerdivision wird nach Deutschland über den Seeweg abgezogen und deren Panzer 4 übernehmen wir, was auch geschah.
Somit hatte ein Panzer 5 Mann Besatzung und ich in meiner Funktion nur Funker. Mein Kommandant hieß Feldwebel Walter, ein erfahrener Panzerkommandant.

Anfang März 45 begann im Raum Frauenburg - Tukum mit einem Feuerschlag die 4. Kurlandschlacht und erreichte am zweiten Tag einen größeren Einbruch. Sofort wurde unsere Division eingesetzt, um die Lücke wieder zu schließen.

Unsere Panzerabteilung fuhr in der Nacht den Angriff und kamen gut voran, doch auf einmal gab es einen Knall in unserem Panzer. Dabei fingen Kabel und Leitungen an zu brennen, mein Funkgerät fiel aus, sofort versuchte ich die Flammen zu löschen was mir auch gelang.
Als ich dann bemerkte, daß meine Kameraden nicht mehr im Panzer waren, wollte auch ich raus doch der eine Fuß im Walinki (russ. Filzstiefel) hatte sich im Fußbereich zwischen den Kabeln verklemmt, so daß ich nicht gleich frei kam, und ohne Stiefel bei winterlichen Temperaturen wollte ich auch nicht aussteigen.

Doch mit Gewalt konnte ich mich letztlich befreien und sprang aus dem Panzer. Doch von meinen Kameraden war nichts mehr zu sehen.
Es war dunkel und man konnte nicht sehr weit sehen. Ich versuchte mich zu orientieren und entschloß mich, auf den Panzerkettenspuren nach Rückwärts zu laufen. Auf einmal tauchten Umrisse von Panzern auf. Und ich wußte ich nicht, ob es russische oder eigene Panzer sind.

Nach vorsichtigen Heranschleichen sah ich, daß die Luken offen standen und es russische Panzer waren. Da ich als Funker beim Angriff mit Funken beschäftigt war, habe ich nicht mit bekommen, daß wir die russischen Panzer in der Bereitstellung überrollt hatten.
So bin ich dann weiter gelaufen den Schneespuren folgend bis ich an eine Rollbahn kam; dort sah ich in einer Entfernung zwei Lichter und Motorengeräusch und als es näher kam, war es unser Spieß (Hauptfeldwebel) mit seinem VW-Kübel, der unser Kompanie die Verpflegung gebracht hatte, und so konnte ich mit ihm zum Troß fahren.

Unser abgeschossene Panzer wurde am nächsten Tag geborgen und in die Werkstatt gebracht. Nach einer Woche konnten wir das Fahrzeug wieder abholen.
Als wir auf der Fahrt in Richtung Front fuhren, und das Wetter angenehm warm war, saßen alle Besatzungsteilnehmer außerhalb auf dem Panzer.Auf einmal gab es im Panzer einen lauten Knall, die Luken flogen auf und Qualm kam heraus. Wir hielten an, schauten nach und sahen ein Loch in der Drehkranzplatte. Soofort machten wir kehrt und fuhren zurück in die Werkstatt.

Als der Kompanieführer das erfuhr, wollte man meinen Kommandanten vor das Kriegsgericht bringen mit der Begründung, wir hätten Sabotage am Fahrzeug betrieben, um nicht an die Front zu müssen. Doch bald stellte sich heraus, daß die Ursache bei der Werkstatt lag.
Die hatte beim Abnehmen des Turmes und des Drehkranzes übersehen, daß eine Handgranate in den Drehkranz gefallen war und beim Aufsetzen des Turmes die Eierhandgranate im Drehkranz zu liegen kam. Durch das Fahren auf der schlechten Fahrbahn ist die Eierhandgranate los gegangen. Das Kriegsgericht war somit hinfällig geworden.

Kriegsende und Kriegsgefangenschaft in Riga

Am 8. Mai 1945 hörte ich in unserem Panzer einen Funkspruch, scheinbar an die Division, der sich wie folgt anhörte: Ab sofort sind alle militärischen Aktionen einzustellen und weiße Fahnen zu zeigen. Ich informierte meinen Kommandanten, selbst glaubte ich erstmals, daß die Meldung vom Russen auf dieser Frequenz ausgestrahlt wurde, was schon ab und zu geschah. Doch als die Meldung weiter an die Abteilung des Regiment kam, war mir klar das ist "Das Ende".

Unser Kompanieführer gab den Befehl an alle Panzerbesatzungen das Feuer einzustellen in den Stellungen zu bleiben und weiße Fahnen zu zeigen. Als die Russen aus ihren Stellungen auf uns zukamen, gab unser Zugführer den Befehl ihm zu folgen.
Wir wendeten, fuhren querfeldein und setzten uns von den Russen ab
. Da auf den Straßen ein Chaos entstand, fuhr unser Zug längere Zeit über Felder, um dann später auf einer Straße in Richtung Libau.
Die Fahrt dauerte die ganze Nacht an. Wir verschossen in der Nacht die ganze Leuchtpatronen, so daß es aussah wie ein kleines Feuerwerk. Am 9. Mai vormittags wurden wir dann auf einmal von der Straße auf eine Wiese geleitet, wo wir unsere Panzer in Reih` und Glied abstellen mußten.

Inzwischen war die ganze Kompanie eingetroffen, unser Hauptfeldwebel (Spieß) rief uns im Halbkreis zusammen und meinte, der Krieg wäre jetzt aus und er wolle seine Pistole entladen, dabei löste sich ein Schuß und traf einen Kameraden ins Bein.
Mit diesem letzen Schuß am 9. Mai war der Krieg tragisch zu Ende gegangen.

Die Fahrer mußten bei den Panzern bleiben. Unser Gepäck wurde auf einen LKW geladen und zu Fuß ging es weiter, mit etwas Bewachung, in Richtung Riga. Nach ca. 20 km hat man uns dann auch den LKW weggenommen.
Die Nacht vom 9. auf 10. Mai kampierten wir auf einer Wiese in Zelten mit ca. 5. 000 Mann. Es hieß morgens, wir würden im Laufe des Tages in Riga in Gefangenschaft kommen.
Bevor wir losmarschierten, haben wir noch alle unsere Koppel und Schuhe geputzt und es ging Kompanieweise in Fünferreihen im Gleichschritt (kasernenmäßig) Offiziere, Feldwebel, Unteroffiziere und Mannschaften nach Riga.

Obwohl wir schon eine Bewachung hatten, stand die lettische Bevölkerung auf den Bürgersteigen bis zum Bordstein lautlos bedrückt.
Wir wollten dann auch noch Soldatenlieder singen doch das wurde uns verboten, statt dessen hatten die Posten gegen ein Pfeifen der Lieder nichts dagegen.
Fast wie in Friedenszeiten zogen wir durch die Stadt Riga kreuz und quer bis zu unserem Gefangenenlager.

Dort angekommen wurden wir so richtig "gefilzt", es wurde uns alles abgenommen, bis auf die Kleidung am Körper und den Tornister, der fast leer war. Das Gefangenenlager setzte sich aus einem Hauptlager und mehreren Nebenlagern zusammen, so daß der Verbleib eines jeden ungewiß war. Im Hauptlager waren ungefähr 10.000 Landser.
Nach der Registrierung kamen wir in unsere "Unterkünfte". Es waren Steinbauten, die einen großen Raum darstellten. Es gab darin zweistöckige Pritschen wo wir uns einmal einrichteten, das heißt wir lagen wie die Heringe ohne Decken. Die nächsten Tage gingen wir mit ca. 50 Mann von unserer Kompanie zu der Konservenfabrik "Kaja" in die Innenstadt von Riga.

Zur Bewachung holten uns zwei zivile Posten vom Lager ab. In der Fabrik angekommen, stellten sie ihre Gewehre in eine Mauerecke und langweilten sich. Wir kamen in einen großen Raum in dem wir mit lettischen Frauen kleine Fische ausnahmen und in Konservendosen einlegen mußten.
Als wir ungefähr 14 Tage dort arbeiteten, hieß es im Lager, am nächsten Tag nach der Arbeit werden wir unsere sämtlichen Haare entledigt. Und so geschah es auch, alle Leute bekamen eine sogenannte Glatze verpaßt.

Die Folge war, daß in der Fabrik am nächsten Tag niemand mehr die Mütze abnahm. Wir fühlten uns alle gedemütigt und verletzt, aber aus hygienischen Gründen war es wohl im nachhinein richtig.
Doch das Ungeziefer kam irgendwann doch und nicht zuwenig. An gewissen Tagen kamen am Abend Leute von der "Antifa" (Antifaschistisches Komitee) die große Reden hielten und uns für den Kommunismus begeistern wollten; solche Mitgefangenen wurden natürlich ausgepfiffen.

Dieses Arbeitskommando dauerte etwa bis August 1945. Es war fürs Erste gar nicht mal schlecht. Wir brauchten das schlechte Essen im Lager nicht, da uns die Frauen heimlich genügend Essen zusteckten. Ein 18 jähriges Mädchen hatte es mir besonders angetan.
Sie brachte mir jeden Tag ein Päckchen mit Eßbarem und 20 Zigaretten, die ich später an meine Kameraden weitergab, weil ich nicht rauchte. Auch wenn sie andere Schicht hatte, kam sie jeden Tag gab mir einen "Wink" und wir trafen uns an einem unbeaufsichtigten Platz, wo sie mir diese Kostbarkeit gab.

Eines Tages mußte ich in eine andere Abteilung in der Konservendosen hergestellt wurden, auch da kam noch ein Mädchen mit Namen Alma dazu. So war die Gefangenschaft wesentlich erträglicher geworden. Doch das Gute währt bekanntlich nicht lange. Im September war dieses schöne Leben vorbei.

Das Elektrizitätswerk von Riga

(Die Fotos zeigen den Verfasser 1992 am E-Werk in Riga)

Das Elektrizitätswerk war von unseren Truppen bei der Aufgabe Rigas gesprengt worden, so daß wir es auch wieder aufbauen mußten. Wir wurden von diesem Hauptlager in das Nebenlager 277 / 11 verlegt.

Das sogenannte E-Werklager war mit ca. 2.000 Mann in Holzbaracken untergebracht. Zu der Ruine des E-Werks gingen zwei Schichten zu je 1.000 Mann zur Arbeit bei einem 10 Stunden Tag und 6 Tagen in der Woche, nur der Sonntag war frei. Zuerst mußten die Fundamente mit 5 kg Hämmern und Meißeln rausgestemmt werden, was sehr viel Kraft kostete.

Jede Arbeitsgruppe (Brigade), etwa 12 Mann stark, mußte eine bestimmte Menge (Norm) am Tage schaffen. Hatte die Brigade 100 % geschafft, gab es am Tage 600 g Brot und dreimal einen 3 / 4 Liter Wassersuppe. Wurde die Norm nicht erfüllt, gab es nur 500 g Brot. Durch diese körperliche Anstrengungen nahmen die Leute immer mehr ab. Da Hunger weh tut, versucht jeder irgendwo etwas zusätzlich Eßbares zu ergattern.

Bei diesem E-Werkkommando marschierten wir unter Bewachung zum Werksgelände, dort haben die Posten das ganze Gelände auf ihren Beobachtungstürmen umstellt und bewacht. Außerhalb dieses abgesperrtem Gelände gab es einen Getreidespeicher in dem Getreide gelagert war.
Bei der Nachtschicht versuchten einige Kameraden, an den Posten vorbei, sich dort etwas Getreide zu holen. Vielen ist es geglückt, doch einige hat man entdeckt und erschossen. Meine Brigade kam im Frühjahr 1946 auf diesem Gelände zu zwei Marine-Soldaten, die die Aufgabe hatten in dem vorbei fließenden Fluß Düna in einen Taucheranzug gewisse Arbeiten an Rohren unter Wasser zumachen.
Diesen Soldaten mußten wir in die Taucheranzüge helfen und später über eine Pumpenanlage mit Luft versorgen. Die Arbeiten waren für uns leicht und die Norm war jeden Tag erfüllt, ob die Soldaten etwas taten oder nicht.

Im Sommer 1946 hatte ich mit fünf anderen Kameraden , die alle aus Bauernhöfen kamen, das Glück zu einen Landkommando 50 km östlich von Riga auf einen Bauernhof zu kommen. Auf dem Bauernhof gab es zu der Zeit keinen Eigentümer sondern einen Verwalter.
Dieser Verwalter hatte für uns die volle Verantwortung, also keinen militärische Bewachung. Die Verpflegung mußte der Verwalter stellen, so das ein Mann von uns kochen mußte, es war Hans Kloibhofer aus Linz.

Wir sollten Wiesen mähen und Heu machen. Dazu bekamen wir Sensen, die mußten zuerst und danach immer wieder gedengelt werden, das machte ein älterer Kamerad von uns, er hieß Lorenz Gscheidmeier aus Winzern bei Deggendorf an der Donau.

Also mähten wir vier Deutsche mit einem lettischen Knecht von morgens bis abends Gras. Es war zwar schwer, aber wir bekamen auch gut zu Essen. Auf dem Nachbarhof waren 10 russische Soldaten eingesetzt, die nicht viel Lust zur Arbeit hatten. Wir waren auf unserem Hof in der halben Zeit mit Allem fertig.
Zusätzlich waren auf diesem Nachbarhof zwei lettische Frauen aus den Büros in Riga zur Ernte eingesetzt. Diese Frauen, 18 und 27 Jahre alt hatten in der Nacht immer Angst vor den russischen Soldaten, deshalb schliefen sie nicht im Hause sondern im Stall auf dem Heuboden.

Da der Zugang nur über eine Leiter möglich war, wurde sie, nachdem sie oben waren, hochgezogen, damit niemand zu ihnen konnte. Einen Sonntag trafen wir mit diesen Frauen zusammen und es entwickelte sich eine engere Freundschaft, die später für mich noch große Probleme bringen sollte. Wir genossen vier Wochen bei relativer Freiheit in vollen Zügen.

Einmal kam uns überraschend der russische Lagerkommandant besuchen, es war Mittagszeit und Hans war bei seiner Freundin auf dem Heuboden. Er fragte nach Hans und nun bin ich schnellstens verschwunden, um Hans zu signalisieren, daß der Chef da wäre.
Hans sprang sofort ohne Leiter vom Boden und kam zum Major und dieser meinte, ob er bei einer Frau gewesen wäre. Ich muß noch hinzufügen, daß Hans in Riga nicht in unserem Lager wohnte, sondern beim russischen Stab in der Nähe des Lagers in einem kleinen Häuschen.
Auf diesem Stabsgelände war auch die lagereigene Bäckerei mit deutschem Personal untergebracht. Hans sprach sehr gut russisch und hatte das Vertrauen des russischen Majors und Lagerkommandanten. Er durfte sich auch Leute aus dem Lager holen, wenn irgend welche Arbeiten anfielen. Und so kam es, daß Hans nach der Rückkehr vom Lande mit den Frauen Kontakt hielt.

Eines Abends holte er mal wieder Leute zur Arbeit aus dem Lager, um Kartoffel aus einem Eisenbahnwagen zu entladen. Mit diesen Leuten hat mich Hans aus dem Lager herausgeholt.
Neben dem Lager war ein Güterbahnhof, dort wurden die Arbeiten durchgeführt. Für die Leute war er voll verantwortlich, also ohne Posten. Während meine Kameraden die Kartoffel ausluden, gingen Hans und ich in einen leer stehenden Personenwagen und trafen uns mit den zwei lettischen Mädchen. Dieses Treffen in Riga war das erste und letzte überhaupt.

Eine Woche später durfte ich nicht mehr zum E-Werk auf meine Arbeitsstelle. Mit noch 35 - 40 Kollegen saßen wir die nächsten Tage im Lager und taten nichts. Dann holte man uns für Arbeiten im Lager und eines Tages auch vor das Lagertor.
Dort nahm uns unser Polit - Offizier in Empfang und erklärte, wir müßten vor dem Lager einen Sportplatz für die Lagerinsassen bauen.

Also waren wir die nächsten Tage dort beschäftigt. Ich hörte mich in dieser Gruppe ein bißchen um, es waren Leute, die versucht hatten zu fliehen oder geklaut hatten. Jeder wußte, daß er Etwas " verbrochen " hatte, nur ich wußte nicht, warum ich bei diesem Haufen war.

Bei diesen Arbeiten war ich dem "Politruk" irgend wie sympathisch, das merkte ich und fragte ihn eines Tages, warum auch ich hier wäre. Er meinte, ich solle mal in sein Büro kommen, das ja im Lager war.
Als ich das Büro betrat war auch eine jüdische Dolmetscherin im Zimmer.

Ich fragte, warum ich nicht mehr zu meiner Arbeitsstelle dürfte, ich sei mir doch keiner Schuld bewußt. Darauf meinte er, es ginge mir doch nicht schlecht, ich könnte im Lager bleiben und brauchte nicht die schwere Arbeit auf dem E-Werk zumachen.
Ich meinte, es würde mich seelisch sehr belasten, denn dieser Zustand wäre doch nicht normal. Daraufhin gab man an mir zu verstehen, ich hätte doch ein Mädchen hier in Riga, ob ich die Absicht hätte abzuhauen? Ich meinte: wenn ich das hätte tun wollen, wäre die beste Gelegenheit auf dem Lande gewesen.
Doch von dieser Frage war ich so überrascht, denn damit hatte ich nicht im Traum gerechnet. Scheinbar hat mich jemand denunziert. Der Polit - Offizier meinte dann, mir ginge es doch nicht schlecht, und eines Tages werde ich auch wieder arbeiten gehen können.

Eines Tages wurde ein Kommando zusammen gestellt, man erzählte, es ginge in ein Waldlager. Als ich das hörte war mir klar, das ist ein Straflager.
Mittlerweile war der erste Schnee gefallen und es wurde kalt. In dem Waldlager angekommen, mußten wir uns n Baracken einrichten.
Am nächsten Tag ging es mit Sägen und Beilen bewaffnet in den Wald um Bäume zu fällen. Mit langen Zugsägen war harte Arbeit gefordert.
Die Bäume mußten auf eine bestimmte Länge geschnitten werden und auf eine Forststraße getragen werden. Das war echte Knochenarbeit bei Wassersuppe und trockenem Brot. Dieses Waldlager war zwar dem E-Werklager angeschlossen, so daß wir ärztlich vom E-Werklager "versorgt" wurden. Einmal im Monat kam ein Arzt für einen Tag raus und tat das Allernötigste. Weil ich noch so jung und noch dazu klein war, wußte dieser deutsche Arzt, daß ich den Winter hier nicht überleben würde.

Er veranlaßte, unter dem Vorwand krank zu sein, mich sofort ins Lazarett zum E-Werklager zurück zubringen. Auf einem offenen LKW kam ich nach Riga ins Lager zurück. Im Lazarett waren mehrere deutsche Ärzte unter einer russischen Ärztin tätig.

Die Leitung des Lazarettes hatte ein Stabsarzt Dr. Schorsch aus Berlin stammend, der mir sehr zugetan war. Er behielt mich ca. 14 Tage drin, ohne daß ich wirklich krank war. Dann meinte er, länger könnte er mich nicht halten, ohne das es die russische Ärztin merken würde.
Er verstand es über gewisse Kanäle mir im Lager eine Arbeit zu verschaffen. Ich wurde "Chef" der Wäscherei in einer Baracke.

Jeden Tag kam "Unterwäsche" und "Nachthemden" aus dem Lazarett, die gewaschen werden mußten. Dazu wurden mir jeden Tag 4 Leute zugeteilt, die nach dem Kochvorgang an den Waschbrettern die Wäsche waschen mußten.
Zum Kochen hatten wir nur Soda und zum Waschen nur wenig Kernseife, so daß die Wäsche alles andere als sauber wurde. In gewissen Abständen kamen Kommissionen aus Moskau, da wurde von der russischen Lagerleitung alles unternommen, um einen guten Eindruck zumachen.
Es gab eine extra Ration Kernseife und aus der Küche war die Suppe etwas dicker. In dieser Wäscherei war ich ungefähr von März bis Juni 1947.

Mitte Juni wurde wieder ein Kommando zusammen gestellt, dem ich auch angehörte. Es ging per LKW ca. 25 km westlich von Riga in ein Torflager.
Torf wurde auf einer Waldlichtung mit einer Torfmaschine gestochen. Bei den sommerlichen Temperaturen war es eine richtige Knochenmühle.
Große und starke Männer machten bei dieser Hitze schlapp, denn es gab nichts zusätzliches zu trinken, nur unsere normale Wassersuppe.

Da Durst noch schlimmer zu ertragen ist als Hunger, suchte und fand ich einen Ausweg. Da ich bei der Panzertruppe war , trug ich noch meine schwarze Panzerjacke. Ein russischer Posten, der von unserer Bewachung war, fragte mich eines Tages, ob ich bei den Panzern gewesen bin, was ich bejahte. Er erzählte mir, daß auch er bei den Panzern in Ostpreußen war, doch weil er Diesel schwarz verkauft hatte, wäre er degradiert und zum Wachpersonal versetzt worden.

Dieser russische Wachsoldat erlaubte es mir, vom Arbeitsplatz für zwei Stunden wegzugehen, um in der Umgebung bei den lettischen Bauern etwas zu Essen und Trinken zu betteln. Dadurch konnte ich auch für meine Kameraden etwas tun.
Doch dieser russische Soldat kam eines Tages nicht mehr, und damit hörte auch das Betteln auf. Die Arbeit an der Torfmaschine war so brutal, daß ich mir dachte, wenn du hier länger bleiben mußt, gehst du vor die Hunde.

Ins Donezbecken

Eines Tages - ich glaube, es war November 1947 - hieß es, es geht ein Kommando in den Kaukasus. Dort wäre es besser und auch wärmer. Ich dachte mir, es ist egal wo es hin, geht nur weg von hier und meldete mich zu diesem Transport.
Am Bahnhof von Riga trafen aus anderen Lagern Mitgefangene ein, ein ganzer Güterzug wurde zusammen gestellt, in dem Pritschen eingebaut waren, so daß eine Lage Menschen oben lag und eine unten am Boden.
Der Transport fuhr ungefähr Mitte Dezember los. Die Fahrt ging über Minsk, Kiew, Rostow am Schwarzen Meer bis ins Donezbecken. Auf dieser "Reise" war unter uns eine Stimmung, als wenn es nach Hause ginge, jeder in der Hoffnung, etwas Besseres vorzufinden.

Die Stimmung hielt bis Rostow an, als wir dann in nordöstlicher Richtung fuhren und uns Kohlenzüge begegneten, wurde schon vermutet, ob es nicht womöglich ins Bergwerk ginge. Die Stimmung schlug total um und die Vermutung sollte Recht bekommen.
Nach 14tägiger Fahrt waren wir am Ziel und der Ort hieß Kadejewka und liegt im Donezbecken, wo es viele Kohlebergwerke gibt. Wir wurden in Steinbauten untergebracht . Hier gab es keine Pritschen, sondern Stockbetten, was wir als Fortschritt ansahen.
Doch das Ungeziefer begleitete uns auch hier weiter, besonders Wanzen setzten mir persönlich am meisten zu, da hätte man die ganze Häuser ausräuchern müssen.
Gegen Läuse tat man etwas, alle 4 Wochen wurden wir entlaust, aber auf Grund der allgemeinen hygienischen Verhältnisse wurden wir sie nicht endgültig los. Das Essen war auch hier nicht besser.

Am 3. Januar 1948 fuhren wir in die Kohlengrube "Jlitsch" auf 700 Meter Tiefe ein. Unsere Arbeit bestand darin, Kohleloren auf einer bestimmten Strecke zuschieben.
Da die Gleis- und Streckenverhältnisse in einem sehr schlechten Zustand waren, ging alles sehr mühsam. Plötzlich brachte ich meine Lore nicht mehr weiter, doch da hörte ich aus einer gewissen Entfernung kommend Frauenstimmen und Lieder singen auf deutsch. Ich ließ meinen Waggon stehen, nahm meine Grubenlampe und ging in Richtung der Stimmen.

Nach 5 Minuten kam ich an eine Stelle, die wie ein viereckiger Wohnraum aussah.
Dort standen etwa 8 - 10 junge Frauen im Alter zwischen 18 und 23 Jahren und sie sangen ein Lied mit dem Anfangstext : Wer die Heimat liebt so wie du und ich, kann im fremden Land nicht glücklich sein.

Das war für mich so ergreifend, nach drei Jahren deutsche Mädchen und Stimmen zu hören, daß mir die Tränen nur so liefen. Als sie mit dem Singen aufhörten und mich entdeckten, kamen wir ins Gespräch und es stellte sich heraus, daß alle aus Siebenbürgen und dem Banat in Rumänien stammten, und nach dem Einmarsch der Roten Armee hier verschleppt waren, und seit drei Jahren die schwere Arbeit im Bergwerk machen mußten.

Ab dem nächsten Tag brauchten diese jungen Frauen nicht mehr in den Schacht einfahren, sie arbeiteten nun Übertage und waren beschäftigt wie zu Beispiel Holz sägen zum Abstützen der abgebauten Kohlenflöße.
Wir haben sie praktisch im Bergwerk abgelöst. Diese Begegnung und alles was ich durch die Rumäniendeutschen erfuhr, war für mich so erschütternd, daß mir das ganze Ausmaß dieses schrecklichen Krieges bewußt wurde. Als ehemaliger Soldat konnte man, was mit Soldaten gemacht wurde, verstehen. Aber was man mit den Zivilisten alles machte, war einfach brutal und unmenschlich.

Im Schacht war es so, daß die Deutschen für sich auf einer Sole arbeiteten, und die Russen auch für sich. Obwohl wir weniger zu Essen bekamen als die Russen, förderten wir um die Hälfte mehr Kohle. Auch hier war die russische Aufsicht sehr schlau, für die Steigerposten wurden Deutsche eingesetzt, das waren Leute aus Oberschlesien und sie sprachen meist russisch. Sie bekamen einen Freischein (Propusk), damit konnten sie sich zwischen dem Lager und Schacht frei bewegen und bekamen noch dazu Geld.

Diese Privilegien führten dazu, daß sie uns antrieben, um die Arbeitsnorm zu erfüllen oder noch besser überzuerfüllen. Jeder dieser deutschen Steiger bekam dadurch mehr Geld und Anerkennung von den Russen. Für unsere Arbeitsleistung mußte die Bergwerksleitung auch Geld an das Lager bezahlen, aber es hieß das reiche gerade für "Unterkunft" und "Verpflegung".

Nach ein paar Wochen wechselten wir das Bergwerk. Wir kamen in die Schachtanlage "Maximowka", sie war kleiner und nicht so tief.
Allerdings konnten wir mit dem Förderkorb nur ca. 60 - 70 Meter runter fahren und von da aus ging es zu Fuß schräg nach unten bis auf ca. 300 Meter.
Man war eigentlich schon müde von dem langen Fußmarsch. Wir mußten vom Lager bis zur Sole hin und zurück zwei Stunden laufen und vor Ort mußten wir 8 Stunden arbeiten. Hier in diesem Lager gab es eine neue Art der Bewachung.
Unser Kommando war ungefähr 70 - 80 Mann stark, dafür gab es einen russischen Posten und 6 - 7 Deutsche, sogenannte WK-Leute, sie trugen eine weiße Armbinde mit den Buchstaben WK (Wachkommando). Diese Leute waren bei der "Antifa" also "politisch umgedreht", und somit bewachten wir uns fast selbst.

Die Sole, auf der unsere Brigade arbeitete, war ca. 600 Meter lang geworden, d.h. der Streckenabschnitt, auf dem die Loren mit der Kohle geschoben werden mußten.

Der Abbau der Kohle ging links von dem Streckenvortrieb aus. Die Kohleschicht betrug etwa 60 - 70 cm hoch, sie wurde von einer Schremmaschine angerissen, gesprengt und dann mit Schaufeln in die daneben laufende Schüttelrutsche geschaufelt.
Die Arbeiten mußten teilweise auf Knien oder im Liegen gemacht werden. Am Ende der Schicht wurde die Schüttelrutsche wieder zum Kohlenflöz umgesetzt. Ich war zum Waggonschieben eingesetzt. Diese 600 Meter hin und her zuschieben war deshalb so kräfteraubend weil alles so marode war. Das fing mit triefendem Wasser von oben an, gebrochene Abstützbalken, bis hin zu den schlechten Gleisen.
Schon in den ersten Tagen war mir klar, wenn du hier bleiben mußt, ist es das Ende. Also mußte ich mir wieder etwas einfallen lassen, um zu überleben. Mir kam die Idee mit der Epilepsie.

Ich versuchte es bei der Nachtschicht, wenn wir vom Lagertor abgeholt wurden. Als wir ungefähr 500 Meter gegangen waren, ließ ich mich einfach fallen und markierte gewisse Schüttelbewegungen, der Posten hielt die Gruppe an und befahl zwei meiner Kameraden, mich zum Lager zurückzubringen; somit war mir schon eine Schicht erspart geblieben.
Dieses Schauspiel praktizierte ich erfolgreich an unterschiedlichen Stellen des Weges.

Mit 6 Leuten fuhren wir im Förderkorb nach unten, bei dem weiteren Fußmarsch hielt ich mich als letzter der Gruppe, um mich dann langsam zurückfallen zulassen und wartete dann, bis die 5 Mann außer Sichtweite waren.
Nach einer gewissen Zeit kam mir die abgelöste Schicht entgegen. Bevor sie bei mir waren, legte ich mich quer über die Schienen, und als die Männer sahen, daß da einer liegt, packten sie mich unter die Arme und nahmen mich mit nach oben.
Der Posten unseres Kommandos wurde informiert, und ab ging es mit der abgelösten Schicht ins Lager zurück. Dieses Theater spielte ich ungefähr 14 Tage.
Mein Steiger namens Max Sommer ließ mich beim russischen Arzt vorführen. Der untersuchte mich und sagte dann prompt, ich wäre ein Simulant, was ja auch stimmte.
Bei dieser Untersuchung war auch Max Sommer dabei.

Am nächsten Tag im Schacht wollte er mir wahrscheinlich eins auswischen, er kommandierte mich zu den Russen ab, mit der Begründung, die würden mir schon das Arbeiten beibringen.
Also kam ich zu den Russen, sie gaben mir zwei große Schlüssel in die Hand und ich solle dafür Sorgen, daß die Schüttelrutsche ruhig läuft.

Die Rutsche ist ca. 70 - 80 Meter lang und besteht aus 5 Meter langen Blechen, die mit Bolzen und Schrauben zusammengehalten werden. Wenn die Rutsche arbeitete, lösten sich auch ab und zu die Schrauben, dann schlug sie nach oben und wurde instabil. Meine Aufgabe war es nun, diese Schrauben zu kontrollieren und wenn nötig wieder fest zuziehen.
Das war für mich die Erholung. Die Russen hatten sowieso eine andere Arbeitsmoral, zumal die meisten dort arbeitsverpflichtet waren.

Ich fühlte mich dort sehr wohl und hörte mit meiner Masche auf, was auch dann Max Sommer mitbekam.
Er holte mich nach ein paar Wochen wieder zu seiner Sole zurück, ich brauchte aber nicht mehr auf die Strecke Waggon schieben, sondern mit einem Kameraden auf einer Plattform bei der die Wagen ankamen, drehen, anketten und mit einer Winde (Libjotschitza) 50 Meter schräg nach unten zu lassen zur Hauptstrecke.

Diese Winde bediente eine junge Russin mit dem Namen Nina. Als ich mich mal an der Hand verletzte, nahm sie sofort ihr Kopftuch vom Kopf, zerriß es und verband mir die Hand.
Nach ein paar Wochen steckte Sommer mir wieder eine andere Arbeit zu, so kam ich an den Streckenvortrieb.

Da sich der Kohleabbau weiter bewegte, mußte auch der Streckenvortrieb weiter gebracht werden, damit die Loren die geschüttete Kohlen aufnehmen konnten. Das Gestein wurde von den Russen gebohrt.
Mein Kamerad Michael Huber aus Brunnen bei Schrobenhausen und ich hatten das Gestein wegzuräumen und in Loren zu laden.
Eines Tages - es was Sylvester 1948 - hatte der deutsche Sprengmeister in der Sole irrtümlich seine Sprengstofftasche stehen gelassen und bei der Sprengung der Kohle flog auch die liegengebliebene Tasche mit dem restlichen Dynamit in die Luft.
Die Entfernung zu uns war etwa 30 Meter, der Knall und die Druckwelle war so stark, daß uns beiden die Trommelfelle geplatzt sind und sich über uns große Gesteinsmassen lösten.
Nur unser schnelles Reagieren und Weglaufen bewahrte uns vor noch größerem Unheil.

Als das Frühjahr nahte gingen viele sogenannten Latrinenparolen durch das Lager und es hieß, daß in absehbarer Zeit alle Kriegsgefangenen aus den Bergwerken raus kommen sollen.
Niemand nahm diese Parolen noch ernst, da ja das ganze Jahr immer Parolen im Umlauf waren.

Doch eines Tages , etwa Ende April 1949, wurde diese Parole wahr. Es hieß auf Befehl aus Moskau dürfen keine Kriegsgefangene mehr in den Bergwerken beschäftigt werden.
Den darauf folgenden Tag standen offene Lkws vor dem Lagertor, wir mußten aufsteigen und ab ging es.

Nach einer 1/2 stündlichen Fahrt kamen wir zu einem Steinbruch, unsere Gesichter wurden immer länger, und somit kamen wir vom Regen in die Traufe.
Wir bekamen alle eine drei Meter lange eiserne Stange, die an den Enden zu einem Steinbohrer angespitzt war, dazu einen 1,20 m langen Draht, der am unteren Ende zu einem Löffel ausgearbeitet war.
Die Norm war 1 Meter pro Person in das Gestein senkrecht zu "bohren", d.h. man schlug mit dem Hammer zuerst eine kleine Kerbe ins Gestein und dann mit Wasser durchstoßen und drehen, um ein Loch zu bohren. Dabei mußte zwischendurch immer wieder mit dem Drahtlöffel der Steinsand aus dem Loch geholt werden.

Bei Sonnenschein war diese Arbeit sehr schweißtreibend und zu trinken gab es auch hier nichts. Diese Arbeiten im Steinbruch dauerten bis Anfang Juni 49. Eines Tages mußte unsere Brigade zu einem Sägewerk, schon am zweiten Tag durfte ich nicht mehr dabei sein.
Wieder blieb ich im Lager mit etlichen anderen Kameraden, wieder waren es Leute, die entweder bei der SS oder versucht hatten zu fliehen oder einer Einheit angehört hatten, die angeblich "Kriegsverbrechen" begangen haben sollten.

Auf der Antifa-Schule

Warum ich nun wieder dabei war, ist mir unerklärlich geblieben. Mir war die ganze Sache nicht ganz geheuer. Nach ein paar Tagen im Lager hörte ich von der "Antifa", daß sich Leute zur Anti-Schule melden könnten, die Schule würde 6 Monate dauern und dann ging es in die Heimat.
In meiner unsicheren Lage sah ich endlich einen Ausweg. Ich meldete mich dazu, und Ende Juni fuhren wir mit einer Gruppe von Kadejewka (Ukraine) nach Ogrie (Lettland) nicht weit von Riga auf die Antifa-Schule .

Hier sollten wir Marxismis - Leninismus und den großen "friedliebenden" Stalin studieren. Wir waren zwar auch weiter in einem Barackenlager untergebracht, aber das erste Mal in Bettgestellen, 4 Mann auf einem Zimmer und einigermaßen gutes Essen mit Butter usw.. Gelernt wurde den ganzen Tag, doch auch zwei mal in der Woche gingen kleine Arbeitskommandos außerhalb des Lagers ohne Posten. Es war jedenfalls auszuhalten.
Eines Tages hatte ich die Gelegenheit, mit einem politischen Offizier und einer kleinen Gruppe von uns am Abend nach Riga in die Oper zu fahren.
Wir fuhren mit einem Personenzug, es war für mich ein ganz komisches Gefühl unter normalen Menschen zu sein.
Es wurde "Carmen" gespielt. Der Abend wurde für uns alle zu einem Erlebnis und zugleich zurück in die Zivilisation.

Tage und Wochen vergingen, die Theorie, die wir lernten war gar nicht so schlecht, eigentlich für den Arbeiter ein idealer Zustand , doch die Praxis sah in der ganzen Sowjetunion ganz anders aus. Eine Ein - Klassengesellschaft gab es nicht, einen bewußten neuen Menschentyp zu erziehen, der immer nur das allgemeine Wohl im Auge hat, ist nicht praktikabel.

Der Mensch denkt immer zuerst an sich, und wenn alles geplant und vorgeschrieben wird, gibt es keine persönliche Freiheit mehr. Vom sogenannten Volkseigentum hat fast jeder geklaut was das Zeug hielt.
Alles war Mangelware, in der Produktion wurde viel geschrieben aber wenig erbracht. Somit war das System auf kurz oder lang zum Untergang verurteilt. Für mich war die Schule ein Lehrbuch und Mittel zum Zweck zugleich.

Ende der Kriegsgefangenschaft

Am 23.12.1949 war es dann endlich soweit, der Kursus war beendet.
Alle Leute dieser Schule, auch das deutsche Lehrpersonal wurde auf dem Bahnhof von Ogre in Viehwagen verladen, doch die Waggons waren großzügiger belegt und ausgestattet. Die Fahrt ging von Riga über Wilna, Kiew nach Brest (Grenze).
Eine letzte Kontrolle von den Russen, dann ging es in polnischen Zügen (Normalspur) mit nicht mehr abgeschlossenen Türen, über Warschau nach Frankfurt / Oder. Die Stimmung war dementsprechend. In Frankfurt kamen wir ins Durchgangslager, wurden von Deutschen registriert und von Parteifunktionären empfangen, in der Hoffnung uns als Parteikader für die aufzubauende DDR zu gewinnen.

Ich dachte gar nicht daran dort zu bleiben, da ja meine Angehörigen in der Nähe von München wohnten. Ich gab ein Telegramm auf und kündigte an, daß ich bereits in Frankfurt bin und in den nächsten Tagen heim kommen würde.
Am 29.12.49 bestieg ich mit anderen Kameraden den Personenzug in Richtung Hof (Bayern), wo wir bei Nacht in Moschendorf über die deutsch - deutsche Grenze gingen. Nach 4 Jahren und 8 Monaten war ich endlich wieder in Deutschland.

Fazit: Ich habe mir geschworen nie mehr Soldat zu werden und keine Waffe mehr in die Hand zu nehmen.
Krieg gibt es immer dann, wenn die Politik versagt.
Wenn in Zukunft die Politiker einen Krieg für unvermeidlich halten, dann sollen sie selber hingehen.

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