Weblog von Dietmar Jendreyzik
aus Köln

Gebete für einen Fremden

Daß wir beten, für uns, unsere Familien, für Freunde oder Bekannte, ist sicherlich noch gute Übung, ist Vertrauen auf das Wort Gottes. Doch beten für einen gänzlich Unbekannten?
Warum nicht, aber wie lernt man Jemanden kennen, der dennoch unbekannt bleibt ?
In diesem Falle kann es nur die modernste Kommunikationstechnik sein, das Internet.

Zum Jahresende 1997 verschicke ich als eMail (elektronische Post im Gegensatz zur Briefpost) eine Anfrage an Träger des Mädchennamens meiner Frau, die ich im Internet als Privatpersonen ausfindig gemacht habe.
Wir beide sind Familienforscher in unseren Familien und suchen nicht nur in Archiven oder Kirchenbüchern nach Vorfahren, sondern auch nach Abkömmlingen. Insbesondere in den USA finde ich etliche Nachfahren von Auswanderern.
Dort ist die private Verbindung per eMail schon erheblich mehr verbreitet als bei uns in Europa.

Einige Anfragen werden beantwortet, darunter ein ganz besonderer Brief von Steve aus einer großen Stadt im sonnigen Kalifornien. Er möchte uns helfen mit den Daten seiner Familie, aber sinnvoller Weise traut er einem völlig fremden Menschen nicht auf Anhieb.
Mehrere Briefe gehen hin und her; in einem Schreiben stellen meine Frau und ich uns ausführlich vor, das Eis ist gebrochen.

Nun schreibt Steve umfangreich und fröhlich von seiner Soldatenzeit in Deutschland, den El Nino-Regenfällen in Kalifornien, wir aus dem Leben unserer ev. Gemeinde, unserer schönen Stadt Köln, wir tauschen Erfahrungen des täglichen Lebensin unsereren so unterschiedlichen Ländern aus.
Wir wissen immer mehr voneinander, wir sind im gleichen Alter. Natürlich schicken wir auch ein Foto per eMail, damit unser fremder Freund weiß wie wir aussehen. Auch erhalten wir Fotos von ihm, seiner anmutigen Frau Kathie und sogar seinem Hund Willow.

Die Wochen gehen ins Land, es wird Frühling und wir erhalten von ihm ein neues Foto, auf dem er keine Haare mehr hat. Die Erklärung kommt im Text, Steve hat Krebs im Endstadium und ist in vielerlei Behandlung.
Die Art und Weise wie er schreibt, nimmt uns den Schrecken und die Angst um ihn. Wir treffen in diesem neuen Medium Internet auf einen Menschen auf der anderen Seite der Welt, der sich uns öffnet und ohne Scheu oder Panik von seinem nahen Ende und seinen bescheidenen Hoffnungen auf wenige Monate mehr Lebenszeit durch die vielen Behandlungen spricht.

Vorsichtig fragen wir nach, ob er Christ sei. Gerne erzählt er von seinem römisch-katholischen Glauben und wir versprechen, für ihn zu beten. Im Kölner Dom stellen wir wie selbstverständlich auch eine Kerze für ihn vor der Juwelen-Madonna auf.
Da wir weltweit einige katholische und evangelische Geistliche kennen, bitten wir sie per Internet auch für unseren unbekannten Freund zu beten und unsere Bitte wird selbstverständlich erfüllt.

Gebetskerzen

Ein Digitalfoto einer Opferkerze erfreut ihn, unsere Gebete und die unserer Freunde veranlassen ihn zu der Feststellung: Es ist wunderbar, daß dieses neue Medium Freundschaften weltweit ermöglicht. Gott sei seine einzige Hoffnung. Er bedauert, daß er uns nie, zumindest nicht in diesem Leben, kennenlernen wird.

Mitte April berichtet Steve von einem Ausflug mit seiner Frau Kathie an den nahen Pazifik zu dem Ort, in dem sie geheiratet haben. Sie nehmen Abschied an ihrem 10. Hochzeitstag und er findet wunderbare Worte voller Zuneigung über seine Frau.

Nachdem Ende April ein Brief für etliche Tage unbeantwortet bleibt, erhalten wir per eMail von Kathie die Mitteilung, daß Steve am 30. April friedlich im Kreise seiner Familie entschlafen ist.
Kathie bedankt sich auch in seinem Namen noch einmal für die Freundschaft per eMail, die ihm sehr wichtig wurde.
Der Computer und das Internet waren für ihn das Tor zur Welt, die er auf herkömmliche Weise nicht mehr bereisen konnte.

Dietmar Jendreyzik
(1998)

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